Uni Tübingen an Bord des Peace Boat
Robert über den ICTY Workshop
Am nächsten Morgen stand ein Seminar mit Nenad Fišer an. Diesmal ging es um seinen Arbeitgeber, den ICTY, den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien, mit Sitz in Den Haag. Hier der Link: http://www.icty.org/. Mr. Fišer gab uns seine persönlichen Erfahrungen weiter, welche die Aktivitäten und Probleme betreffen, denen er während der Arbeit am Strafgerichtshof begegnete. Das Tribunal ist zuständig für die Verfolgung schwerer Verbrechen, die seit 1991 in den Kriegen in Jugoslawien begangen wurden.
Die Aufgaben des ICTY sind vielschichtig. Zunächst sollen natürlich die Täter für die Kriegsverbrechen bestraft werden (Der Slogan des ICTY lautet: “Bringing war criminals to justice, bringing justice to victims”). Weiterhin soll klargemacht werden, dass es für diese Verbrechen kein Entkommen gibt. Ein weiteres Ziel ist es, zu vermeiden, dass sich etwas wie in Ex-Jugoslawien wiederholt. Schließlich soll der Strafgerichtshof beim Aufarbeitungs- und Verstehensprozess helfen. Gesetzesrechtlich betrachtet stellt der Gerichtshof eine Mischung aus Angelsächsischem und Kontinental geprägtem Rechtssystem dar.[http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetzesrecht] So gibt es weder Geschworene noch einen einzelnen Richter (sondern sechs bis acht). Insgesamt ist der ICTY dem Internationalen Strafgerichtshof recht ähnlich. Es werden verschiedene Straftaten bearbeitet, wovon die schwersten Delikte Genozid sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Darüber hinaus gibt es noch die Kategorie der “Identitätszerstörung”, welche sich aus drei Verbrechen zusammensetzt: Tötung oder Vertreibung der Menschen, Vergewaltigung der Frauen und Zerstörung der Ethnizität durch Vernichtung von Häusern, Sakralbauten und gemeinsamer Geschichte. Schließlich gibt es noch zwei Straftaten, welche der Kriegsführung zuzuordnen sind: Versklavung (auch als menschliche Schilde) sowie Befelsverantwortung, welche die am schwersten nachzuvollziehende ist.
Das angeschlossene Gefängnis und dessen Wächter werden von der UN gestellt. Am ICTY sind dreierlei Arten von Mitarbeitern tätig: Angestellte mit administrativen Aufgaben, Richter und OTPs. Es gibt keine eigenen Vollzugsbeamten mit entsprechenden Kompetenzen (wie sie vergleichsweise das FBI als Bundesstaatsübergreifende Behörde besitzt). Es wird in drei Sprachen verhandelt: BSC (eine Mischung aus Bosnisch & Serbo-Kroatisch), Englisch und Französisch.
Probleme ergeben sich unter anderem aus dem Fehlen von Aufzeichnungen. Zum Vergleich: Bei den Nürnberger Prozessen lag nahezu alle Beweislast schriftlich vor, da das meiste sehr penibel festgehalten wurde. Eine weitere Schwierigkeit stellt die so genannte “Rule 61” dar. So wird dem ICTY, unter Hinweis auf die Nationale strategische Sicherheit, Einsicht in gewisse Beweise nur unter der Auflage gewährt, dass diese Beweise im Gerichtssaal nicht verwendet werden dürfen. Darüber hinaus wurde in den Jugoslawienkriegen viel Propaganda via TV und Radio, anstatt in Zeitungen, übermittelt. Daher fehlen viele “backups”. Schließlich gibt es noch Zeugeneinschüchterungen, was die Arbeit ebenso erschwert wie das Fehlen von “Sozial-Psychologen”, welche für die Auswertung und Einschätzung von Propagandamaterial immens wichtig wären. All diese Probleme führen, in Kombination mit der zu geringen finanziellen Ausstattung, dazu, dass oftmals nicht die schlimmsten, sondern die am leichtesten nachzuvollziehenden Fälle behandelt werden.
Nichtsdestotrotz lautet die aktuelle Bilanz: “The Tribunal indicted a total of 161 persons, Proceedings are ongoing for 41 accused, Proceedings have been concluded against 120 persons, Two accused still at large: Ratko Mladić and Goran Hadžić.”[http://www.icty.org/]
1 | 2 | 3 | 4In diesem Blog berichten Studierende der Uni Tübingen über die Peace Boat Exkursion 2009. Vom 2. bis 10.10. reisen wir von Izmir (Türkei) über Piräus/Athen (Griechenland), Dubrovnik (Kroatien) nach Civitavecchia/Rom (Italien). Im Rahmen von Workshops und Präsentationen an Bord und während der Landgänge behandeln wir folgende Themen: Vergangenheitsbewältigung, die Kriege in Ex-Jugoslawien, den griechisch-türkischen Konflikt, politischer Islam, etc.
Dieser Blog erfährt Aktualisierungen so wie es uns möglich ist in den Hafenstädten oder über die Satelitenverbindung des Schiffs neue Beiträge online zu stellen.
Die Studienfahrt wird auch in diesem Jahr aus Mitteln der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften und des Unibundes der Universität Tübingen bezuschusst. Wenn Sie Interesse daran haben, dieses Projekt zu unterstützen, wenden Sie sich bitte an das Institut für Politikwissenschaft, Abteilung Internationale Beziehungen, Friedens- und Konfliktforschung der Uni Tübingen.